Das Blutmädchen


Das Grauen hat einen Namen - Rufus Kent
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"Ein wirklich schöner Brunnen. Wie lange der hier wohl schon steht? Eine Jahreszahl, wie sonst üblich ist nicht eingeschlagen." Zwei Frauen im gesetzten Alter stehen vor einem Brunnen, der aus dem Zwölften Jahrhundert stammt. Dieser wiederum steht in einem kleinen und unscheinbarem Ort, in dem sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Er ist nicht einmal auf handelsüblichen Landkarten verzeichnet, dazu ist er zu klein. Seine Einwohnerzahl beträgt gerade mal dreihunderteinundsechzig.
Diese zwei Damen sind wie die meisten anderen Besucher dieses Ortes durch Zufall hierher gekommen. Sie verpaßten eine Abfahrt und schon standen sie hier. Dies lag allerdings nur daran, daß die Gemeinde, die für den Schilderwald zuständig war, sich beharrlich weigerte, die Schilder für die Verkehrsregelung an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Ob diese allerdings bewußt, wie so mancher in diesem Ort behauptete, gemacht wurde, um Gäste anzulocken, kann im Grunde nicht genau nachvollzogen werden.
Jedenfalls profitieren die Geschäfte, derer es drei in diesem Ort gibt, doch erheblich davon. Ihnen sollte es Recht sein, wenn die Gemeinde die Verkehrsregelung nicht verändern würde. Sie verdienen sich dadurch ein Zubrot.
Der Ort selber ist malerisch. Keine Erneuerungen zerstören das Landschaftsbild, was diesen Ort zu einem relativ schönen Ort, wenn man das alte liebt, macht. Die Gäste, wenn sie sich mal hierher verirrten, jedenfalls waren immer begeistert. Wie oft hatte schon einer der Gäste nachgefragt, warum denn hier keiner Werbung für diesen Ort machte. Aber die Gemeinde wollte dies nicht. Mit der Begründung, das würde dann zu viele Gäste anlocken, die eventuell auch für immer hier leben wollten. Und dann würden Beschaulichkeit und Ruhe in diesem Ort verschwinden. Was auch sicher von jedem verstanden wurde.
Kommen wir wieder auf diese zwei Gäste, Entschuldigung, Damen zurück. Sie konnten sich von diesem Brunnen nicht trennen. Immer wieder stiefelten sie um ihn herum und machten auf jede nur erdenkliche Art und Weise ihre Fotos.
"Ihr könntet auch mal wieder weitergehen." Eine Stimme von hellem Klang, fast schon wie eine Glocke, aber doch so leise, daß es nicht jeder hören konnte, ermahnte sie dazu weiterzugehen.
"Was hast du gesagt, Rosmarie?" Edeltraut, so hieß die andere Dame, fragte danach, weil sie etwas gehört hatte, es aber nicht genau definieren konnte. "Ich habe überhaupt nichts gesagt. Ich schaue mir nur den Brunnen an, und bin dermaßen sprachlos über dieses Gebilde."
"Aber sicher hast du etwas gesagt. Ich habe dich doch sprechen gehört. Und sage nicht wieder, ich werde senil. Denn das stimmt nicht." Ihre Stimme klang energisch und hob sich etwas an. Schon zu oft hatte Rosmarie zu ihr gesagt: "Du wirst schon langsam senil." Denn sie hörte nicht immer alles. Natürlich wie bei den meisten Menschen. Wenn sie nichts hören wollen, dann hören sie nichts. Aber das, was sie hören wollen, das hören sie.
"Ich habe gerade gesagt, daß ich nichts gesagt habe. Und deshalb brauchst du noch lange nicht deine Stimme zu erheben." Auch sie wurde etwas energisch. Aber man sollte sich nichts daraus machen. So waren die beide schon immer zueinander. Im Grunde ihres Herzens liebten sie sich. Ja, sie liebten sich wirklich. Denn sie waren, wie man so allgemein sagt, Gebetsschwestern. Sie waren, so würde die heutige Jugend es ausdrücken, lesbisch. Und sie standen dazu.
Edeltraut brummte wie immer noch etwas in ihren leichten Flaum, aber nur so laut, wie sie es selber hören konnte. Sie wollte die gestrenge Situation nicht noch weiter anschüren. Aber brummeln mußte sie trotzdem noch. "Und doch hast du etwas gesagt."
"Nein, sie sagte nichts. Ich habe etwas gesagt."
Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sie drehte sich ein paarmal um die eigene Achse und suchte denjenigen, der dies zu ihr sagte. Diesmal hatte sie jedes Wort verstanden. Auch war ihr klargeworden, dies kam nicht von ihrer Freundin. In ihrem Körper machte sich Angst breit. Angst, weil sie niemanden um sich herum sah.
"Hast du dies jetzt auch gehört?" Voller Angst und kleinlaut zupfte sie am Ärmel der Freundin. Doch diese antwortete nicht, sondern schüttelte nur den Kopf und dachte sich ihren Teil. Sie hatte wirklich nichts gehört. Doch das lag nur daran, weil sie viel zu beschäftigt mit dem Brunnen war. Und konnte sich noch nie auf zwei Sachen gleichzeitig konzentrieren. Nein, sie hatte nichts gehört. Wieder schüttelte sie nur den Kopf. Ihre Freundin indessen zupfte weiter an ihrem Ärmel.
"Laß uns schnell von hier verschwinden. Mir ist nicht ganz geheuer bei der Sache." Und damit zog Rosmarie ihre Freundin von diesem Brunnen weg. Doch Edeltraut hatte eigentlich noch keine Lust schon wieder zu gehen. Sie wollte am liebsten noch eine ganze Weile hier bleiben. Sie fühlte sich wohl in der Nähe des Brunnens. Doch um des lieben Friedens willen gab sie ihrer Freundin nach und folgte.
"Das wurde aber auch Zeit." Wieder hörte Rosmarie nur eine Stimme. Zu sehen war allerdings niemand.
Die Einwohner dieses Ortes wußten von den seltsamen Begebenheiten des Brunnens. Keiner von ihnen verweilte längere Zeit an diesem Ort. Im Gegenteil. Die meisten mieden den Ort. Doch was sich letztendlich dort abspielte, wußten die Einwohner auch nicht so genau. Im Gegenteil, sie wollten es nicht wissen. Und beließen es dabei.
Und wieder passierte es, daß Menschen die Abzweigung verpaßten und in diesem kleinen Ort landeten. Diesmal war es gleich eine ganze Gruppe in einem Reisebus. Man sollte meinen, ein Busfahrer würde sich vor Antritt der Fahrt richtig über die Reiseroute informieren. Doch dies schien nicht bei allen Fahrern so zu sein. Oder vielleicht war es ja auch Absicht von diesem Fahrer gewesen. Vielleicht wollte er den Einwohnern ein kleines Zubrot bringen, an dem er eventuell auch etwas verdiente.
Jedenfalls sei es wie es will, die Gäste landeten hier. Mitten im Ort hatte der Fahrer angehalten, natürlich genau vor dem einzigen Gasthof, den es hier gab. Und wie der Zufall auch noch mitspielte, war es gerade Mittagszeit. Die meisten der Gäste ließen sich nicht zweimal bitten und betraten den Gasthof. Er war gemütlich, um nicht zu sagen gediegen eingerichtet und lud regelrecht zum Verweilen ein.
Ein paar andere Gäste machten sich nichts aus einem Essen, sondern erkundeten die nähere Landschaft. Drei der Gäste, sehr junge Kerle machten sich in Richtung des Brunnens auf. Sie hatten ihn bei der Ankunft sogleich bemerkt und auf irgendeine Weise zog sie dieser Brunnen magisch an.
Schon von weitem sahen sie, wie es sich ein Mädchen, dessen Schönheit sie schier blendete, auf diesen Brunnen bequem gemacht hatte. Sie saß mit dem Rücken zu der Öffnung und ließ die Beine vornüber baumeln. Dem Aussehen zu urteilen, war sie nicht älter als Zweiundzwanzig . Die jungen Burschen beschleunigten ihre Schritte und liefen mehr, als sie gingen. Der jüngste der Dreien, er war gerade erst achtzehn, kam als erster dort an. Mit einem freundlichen "Hallo!" begrüßte er die holde Maid. Sie lächelte ihn mit einem Charme an, daß ihm fast die Sinne schwanden. Ihm wurde siedend heiß in seiner luftigen Kluft. Die Außentemperatur in diesem Ort war vielleicht zwanzig oder einundzwanzig Grad, aber alle drei standen jetzt um das Mädchen herum und fingen an zu schwitzen. Sie konnten sich nicht erklären, was die Ursache für dieses Schweißtreiben war, aber der Anblick dieses Mädchens entschädigte alles.
Sie standen herum und keiner der Junggesellen traute sich ein Gespräch anzufangen. unentwegt starrten sie auf die Schönheit. Sie schien sich dabei wohl zu fühlen. Unbeirrt lächelte sie jeden der Reihe nach an.
Nach einer Begutachtung von etwa einer Viertel Stunde, faßte sich der Jüngste ein Herz und fragte sie nach ihrem Namen. "Jasmina", gab sie in einer so zarten Stimme von sich, die bei den dreien das Herz schmelzen ließ.
Langsam tauten alle drei auf und flirteten mit der Schönheit, was das Zeug hielt. "Jochen, ich heiße Jochen." Der jüngste war auch der mutigste von allen. Doch die anderen wollten dem nicht nachstehen, und nannten der Reihe nach Ihren Namen. "Klaus." Mehr schüchtern als mutig brachte der älteste seine Worte hervor. "Und ich bin Rudi." Bemerkte der letzte in der Gruppe. Ihr merkte man an, sie hatte sich auf Jochen eingestellt. Der schien ihr am besten zu gefallen. Zu ihm war sie besonders freundlich. Nicht, daß sie zu den anderen nicht auch freundlich war, aber einen Tick mehr bei Jochen.
Nachdem die andern zwei bemerkt hatten, sie hatten keine Chance bei der Dame, verabschiedeten sie sich in aller Höflichkeit von ihr und gingen ihrer Wege. Nicht so Jochen. Er war nach wie vor Feuer und Flamme. Er wollte sich nicht von ihr trennen. Und dies gefiel Jasmina auch . Mit Augen und Gesten forderte sie ihn auf, mehr aus sich herauszugehen. Sie fesselte ihn regelrecht an sich. Doch nach einer Weile bekam Jochen Hunger. Darum versuchte er sie dazu zu überreden, mit ihm etwas essen zu gehen. Doch all sein Flehen und Betteln brachte nichts ein. Jasmina blieb standhaft, versprach aber, am Abend wieder für ihn dazusein.
"Ich weiß aber noch gar nicht, ob wir hier übernachten oder ob wir nachher wieder weiterfahren. Also kann ich dir nicht versprechen, heute abend wieder hierher zu kommen." "Du wirst kommen, das weiß ich", säuselte sie in einem Ton, wie er so etwas noch nie gehört hatte. Sie hatte es wirklich drauf, einen Bann zu fesseln, aus dem es kein Entrinnen gab. Jochen gab seinem Magen nach und verabschiedete sich von ihr. Jasmina winkte ihm noch eine Weile zu. Als er sich dann wieder nach ihr umschaute, war sie verschwunden. Er suchte mit seinen Augen die Gegend ab, doch er konnte sie nirgends entdecken. Irgendwie war ihm das nicht ganz geheuer. Doch als er sich im Geiste das Gesicht von ihr vorstellte, waren alle Bedenken verschwunden.
Im Gasthof traf er wieder auf seine Freunde. "Na, Erfolg gehabt?" fragte einer der beiden. Doch Jochen winkte ab. Er wollte nichts dazu sagen. Im Inneren war für ihn schon klar, er wollte mehr mit Jasmina anfangen, als ihm selber eigentlich lieb war. Doch dies teilte er nicht seinen Freunden mit.
"Ich hoffe doch, du hast dich von ihr verabschiedet. Wir fahren in einer Stunde wieder weiter." Klaus schaute ihn fragend an. Doch Jochen zuckte nicht einmal mit den Schultern. Er schwieg.
Als es daran ging wieder zum Bus zu gehen, hatte Jochen angeblich noch schnell ein dringendes Bedürfnis. Er teilte dies seinen Freunden mit und machte sich auf den Gang zur Toilette, während sich die Freunde zum Bus begaben. Der Busfahrer stand schon beim Bus und ermahnte die Ankömmlinge zur Eile. Denn man wollte schließlich noch heute zum eigentlichen Ziel gelangen. In all dieser Hektik und Eile bemerkte keiner, ob überhaupt Jochen schon eingestiegen war. Erst als der Bus einige Kilometer von diesem Ort entfernt war, fragte Klaus nach seinem Freund. Doch keiner hatte ihn seither gesehen. Klaus ging zum Fahrer vor und berichtete im die Sachlage, doch dieser war nicht bereit noch gewillt, wieder zurück zufahren. Er war im Gegenteil der Meinung, Jochen müsse selber sehen, wie er wieder heim oder gar ans Ziel kommen würde. Schließlich war allen bekannt, wann man weiterfahren würde. Und damit war die Diskussion für ihn erledigt. Die Freunde mußten sich damit abfinden, auch wenn ihnen dies nicht recht war.
Jochen hingegen befand sich nicht auf der Toilette, nein er hatte mit purer Absicht den Bus verpaßt. Er war heiß. Heiß auf diese Braut. Und nachdem sie sich mit ihm für den späten Abend verabredet hatte, wollte er nichts anbrennen lassen. Er sah dem Bus noch eine ganze Weile hinterher, bevor er sich aus seinem Versteck heraus traute. Jochen fühlte sich wie ein kleiner Junge, der seinen Eltern einen Streich gespielt hatte. Es bereitete ihm ein diebisches Vergnügen, die anderen so zu verarschen.
Bis zum Abend wollte er sich noch die Zeit in diesem Ort totschlagen. Schließlich hatte er noch nichts außer dem Brunnen gesehen, und dies holte er jetzt noch nach. Langsam und ohne Ziel schlenderte er durch den Ort. Hier und da sah er sich die Auslagen der Geschäfte an, oder eins der älteren Häuser, die hier in reichlicher Zahl standen. Das eine oder andere Haus sah wirklich gediegen aus. In diesem alten ländlichem Stil. Solche Häuser hatte er noch nie gesehen. Schließlich war er ein Stadtmensch, und da kannte man so etwas nicht.
Die Zeit bis zum Abend verstrich für ihn fast gar nicht. Ihm kam alles so vor, als wenn die Zeiger der Uhren von irgend jemanden angehalten wurden. Doch wie auch an manch anderen Tagen, die Zeit läßt sich nicht betrügen. Irgendwann geht auch sie einmal vorbei. Die Dämmerung brach herein. und sein Herz begann wie wild zu hämmern. Wie ein kleiner Schulbub, der vor der ganzen Klasse einen Vortrag halten soll, so fühlte er sich. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, die Hände wurden ganz feucht. Im Geiste malte er sich schon aus, was so alles jetzt gleich auf ihn zukommen sollte. Er wischte an seiner Hose die feuchten Hände herunter, um wenigstens etwas seines Schweißes loszuwerden.
Langsam mit wackligen Schritten ging er auf den Brunnen zu. Schon von weitem konnte er Jasmina wieder dort sitzen sehen. Sein Herz schlug bis zum Halse herauf. Er hatte noch nie etwas mit einem Mädchen gehabt, mal abgesehen von einem Kuß. Doch hier hatte er so eine Vorahnung, als wenn hier etwas mehr geschehen würde, als nur ein flüchtiger Kuß. Eine kurze Streichelei und dann Tschüs. So war es bis jetzt immer gewesen. Doch nicht heute. Dessen war er sich völlig sicher.
Einige der Dorfbewohner blickten dem jungen Mann nach. Ihnen war nicht wohl in der Haut. Doch aus all den Erfahrungen der letzten Jahre wußten sie, es hatte keinen Zweck, Fremde daran zu hindern, zu dem Brunnen zu gehen. Darum unterließen sie solche Diskussionen. Nur einer der Dorfbewohner sagte mehr zu sich, als zu den anderen: "Wenn dat mal jut jeit." Dann drehten sie sich alle um und gingen ihrer Wege.
Als Jochen am Brunnen ankam, reichte Jasmina ihm schon die Hände entgegen. Er ließ sich von ihren Händen an sich ziehen und dann folgte ein Kuß, der ihm schier alle Sinne raubte. Sein Blut im Körper erreichte den Siedepunkt. Deutlich spürte er es in seinem Hirn kochen. Doch dies war ihm egal. In diesem Moment fühlte er sich glücklich. So glücklich, wie er noch nie im Leben gewesen war. Und das reichte ihm.
Nach dem langen und intensiven Kuß, bat sie ihn mit einem leisen Flüstern, er möge ihr folgen. Hier in der Öffentlichkeit vor allen Leuten wollte sie nicht mit ihm etwas tun, was nur die beiden betraf. Er nickte und folgte, ohne ein Wort zu verlieren.
Sie ging ihm voraus zu einem nahegelegenen Gebäude. Von außen wirkte es wie eine halb verfallene Hütte. Doch ihm war das egal. Hauptsache für ihn war nur, sie würde ihm endlich das geben, worauf er schon lange sehnsüchtig wartete.
Im Haus drinnen staunte er nicht schlecht. Alles war sehr gemütlich und gediegen eingerichtet, und von Baufälligkeit konnte man hier nichts erkennen. Im Gegenteil! Die Substanz des Inneren sah mehr als nur stabil aus. Die offene Balkendecke zeigte dies sehr deutlich.
Wieder nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in den oberen Stock und dort in das Zimmer, das direkt vor der Treppe lag. Hier stand ein Himmelbett, das aus dem vorigen Jahrhundert stammen mußte. Die Vorhänge, die am Himmel montiert waren, waren zurückgezogen und gaben das mit Satin bezogene Bett frei. Der Stoff leuchtete in sattem Rot, und stachelte die Phantasie des Jungen stark an.
Beide nahmen sich kaum die Zeit zum Entkleiden und warfen sich eng umschlungen auf das Bett. Sie küßte und streichelte ihm die Sinne hinfort. Ihre Finger fühlten sich auf seiner Haut wie Federn an, die weich und zärtlich kaum spürbar und doch vorhanden waren. Er selbst war kaum noch in der Lage, etwas zu tun noch an irgend etwas zu denken. Dieses irrsinnige Gefühl, das sich in seinem Körper ausbreitete, war nicht auszuhalten und nahm ihm auch nach einer gewissen Zeit die Sinne. Ihm wurde schwarz vor Augen.
Vier Tage waren seit diesem Vorfall vergangen. Ein Pärchen aus dem Nachbarort spazierten im Wald zwischen den beiden Ortschaften. Sie hatten weder Kontakt noch Interesse mit dem Nachbarort. Den Wald nutzten beide Seiten gleichermaßen. Doch wenn man sich im Wald traf, mehr als ein Grüß Gott, war von beiden Seiten nie zu hören. Woher allerdings diese Ablehnung, die auf Gegenseitigkeit beruhte, herkam, konnte kein Mensch mehr sagen. Es war so und keiner wollte dies ändern.
Dieses Paar freute sich auf den schönen warmen lauen Tag und auf die frische Luft, die in diesem Wald herrschte. Die Frau des Pärchens schaute sich immer wieder die Bäume und die Gegend, die am Wegesrand lag an. Als sie wie vom Blitz getroffen stehenblieb, mit dem ausgestrecktem Finger der rechten Hand in eine Richtung zeigte.
"Was hast du denn, Liebes?" Ihr Mann schaute sie von der Seite an. Der Mund seiner Frau stand weit offen, als ob sie etwas sagen wollte und doch keinen Ton herausbrachte. Nur der ausgestreckte Arm zeigte dem Mann, irgend etwas war dort vorne.
Er versuchte sich zu konzentrieren, konnte aber wegen seiner Kurzsichtigkeit nichts erkennen. Er griff in die Jackentasche und holte seine Brille heraus, setzte diese auf und sah in gezeigte Richtung. Jetzt stockte auch ihm der Atem. Er zerrte seine Frau in Richtung Heimat ohne auch nur ein Wort zu sagen. willenlos ließ seine Frau alles mit sich geschehen. Als sie beide in ihrer Wohnung angekommen waren, hatte sich seine Frau wieder gefaßt. "Hast du das auch gesehen?" In aller Eile stammelte sie die Worte heraus.
Während er nur nickte, schritt er zum Telefon und wählte die Nummer der hiesigen Polizei. Er schilderte der Polizei das Gesehene, gab seinen Namen und Adresse an, und legte den Hörer beiseite. indessen war die Frau im Wohnzimmer verschwunden und schenkte sich einen Schnaps ein. Den brauchte sie jetzt auch. Denn der Schock saß doch zu sehr in den Knochen.
Der Anblick, der sich der Polizei am Tatort zeigte, war mehr als grausam. An einem Baum gelehnt und gefesselt, befand sich ein junger Mann, von ungefähr achtzehn bis zwanzig Jahren. Er war vollkommen unbekleidet und in seiner Brust klaffte ein riesiges Loch. Seine Genitalien waren vollkommen entfernt worden. So etwas hatte die hiesige Polizei noch nie gesehen. Dieser Anblick, übertraf alles was sie bisher gehört und auf diversen Fotos gesehen hatten. Nie hätten sie auch nur im Traum daran gedacht hier und Heute sich so etwas ansehen zu müssen. Doch verstanden sie nicht. Welcher Mensch war zu einer solchen Tat fähig? War es denn überhaupt ein Mensch?
Fragen über Fragen tauchten den Polizisten auf. Sie konnten sich auf das Geschehene keinen Reim machen. Auch die Obduktion des Gerichtsarztes brachte mehr Fragen als Klarheit. Fest stand nur, dem jungen Mann, wer auch immer dies gewesen sein mag, hatte man nicht nur die Genitalen abgetrennt, sondern auch sein Herz wurde ihm fachmännisch herausgeschnitten. Die Polizei mußte eigentlich fast zu dem Schluß kommen, hier handelte es sich um einen Arzt, der diese Freveltat vorgenommen hatte. Ein normaler Mensch in Anführungszeichen war zu einer solchen Tat nicht fähig. So wurde der Täterkreis doch stark eingeschränkt. Doch weiter brachte es die Polizei nicht. weder gab es ein Motiv noch irgendeinen Zusammenhang zu einem Arzt mit dieser Tat. Das einzige, was der Polizei klar war, war die Tatsache, daß hier nur der Zufall diesen seltsamen Mord aufdecken konnte. Wie die anderen Morde, derer es schon bis zum heutigen Tage zwölf gab. Zwar nicht alle in der näheren Umgebung, aber in einem Radius von achtzig Kilometern.
Seit dieser Tat waren drei Jahre vergangen. Und immer wieder kamen Menschen vom Weg ab und in diesen Ort. Die Menschen in diesem Ort hatten die Tat schon längst verdrängt und auch in der Öffentlichkeit war nicht mehr die Rede davon. Die Morde waren und blieben unaufgeklärt. Und wieder erreichte eine Gruppe junger Menschen diesen abgelegenen Ort, verköstigte sich und schaute sich hier um. Manche bummelten durch die Stadt, während andere die nähere Umgebung anschauten.
Zwei Männer und drei Mädchen stach besonders der dekorative Brunnen ins Auge. Sie machten sich auch gleich auf den Weg zu ihm. Schon von weitem sahen die Männer, ein Mädchen auf dem Brunnenrand sitzen. Dieses Mädchen war von bestechender Schönheit. So schön, es verschlug ihnen den Atem. Vielleicht war dies auch der Grund, warum sie schweigend zu diesem Brunnen gingen. Während die Mädchen schnatternd auf ihn zu liefen, brachten die Jungen keinen Laut heraus. Sie hatten nur noch Augen für die holde Schönheit, die sich auf dem Rand räkelte. Als sie alle vor dem Brunnen standen, schnatterten die Mädchen weiter, und meinten welch schöner Brunnen dies sei. Fragend richteten sie sich an die Jungen, doch diese schienen sie nicht zu hören. Sie starrten nur auf eine bestimmte Stelle des Brunnens, waren aber keiner Reaktion fähig.
"Was habt ihr denn? Sticht euch die Sonne ins Gehirn, sofern vorhanden?" Doch wieder bekamen sie keine Reaktion. Die Jungs wirkten wie geistesabwesend. So als seien die Mädchen nicht vorhanden.
"Was starrt ihr denn den Brunnen so an? So besonders ist er nun auch wieder nicht." Wieder versuchten die Mädchen Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Doch auch diesmal schlug der Versuch fehl. langsam begann es den Mädchen zu stinken. Mit Jungen, die geistig abschalten, wollten sie nichts zu tun haben, drehten sich auf dem Absatz um und marschierten erhobenen Hauptes von dannen.
"Sollen sie sich doch alleine so blöd verhalten. Die tun ja gerade so, als wenn wir Luft wären." Sie waren enttäuscht. Die Mädchen hatten sich auf ein Abenteuer vorbereitet, und hofften, hier eines zu erleben, und was sie erlebten war nur derbe Enttäuschung. Daß sie sich in diesem Moment mehr als nur schnippisch verhielten, kam ihnen allerdings nicht in den Sinn.
"Was macht eine so seltene Schönheit wie Sie hier auf dem Brunnen? Sind Sie verlassen worden und wollen Sie den Brunnen mit ihren Tränen füllen?" Der ältere der zwei faßte sich und begann ein Gespräch. Dies bekamen die davonlaufenden Mädchen aus der Ferne mit. "Jetzt schau dir die zwei an. Jetzt fangen sie schon mit dem Brunnen das Reden an. Ich glaube doch, sie haben einen Sonnenstich. Die Mittagshitze vertragen sie nicht." Kopfschüttelnd gingen sie weiter.
Für die Mädchen war es unerklärlich, mit wem die Jungen da sprachen. Sie hatten niemanden gesehen, oder dachten die Jungen etwa, sie die Mädchen seien noch da? "Ach was soll es", sagte die eine und lief weiter. Sie konnten niemanden sehen. Aber die Jungen sahen diese Schönheit.
Wie sollten die Menschen auch wissen, daß Jasmina nur von noch unberührten Junggesellen, zu sehen war? Frauen war es gänzlich versagt Jasmina zu sehen. Und Männer, die sich mit einer Frau einmal eingelassen hatten, verloren diese Gabe.
Und dies machte sich dieses Mädchen zu ihrem Vorteil. Sie brauchte Jungfrauen in Hosenkleidern, um in dieser ihrer Welt zu existieren. Nicht, daß sie die Männer direkt brauchte, nein sie brauchte etwas von ihnen. Etwas, um ihre Spezie, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Denn nur Männer, die rein und unverdorben waren, deren Männlichkeit noch unbenutzt war, konnte die Aufgabe erfüllen, für die sie ausgesucht wurden.
Der ältere, er war gerade zwanzig geworden, wollte schnell und sicher mit ihr anbandeln. Doch auch der Jüngere mit seinen siebzehn Jahren wollte sich nicht verdrängen lassen. Dies bemerkte das Mädchen und war froh darüber, hier gleich zwei Menschen gefunden zu haben, die ihr helfen konnten. Zwei Menschen, die bereit waren sich für sie hinzugeben, ohne wenn und aber. Im Grunde würde einer allein schon reichen, aber mit zweien würde alles besser und stärker vonstatten gehen. Mit beiden verabredete sie sich für den späten Abend hier wieder an diesem Brunnen, was den beiden nicht besonders gefiel. Lieber wären sie alleine gekommen, aber da keiner auf Jasmina verzichten wollte, willigten sie dennoch ein.
Der Abend nahte, und die beiden Jungen gingen zielstrebig auf den Brunnen zu. Sie wurden von den Mädchen, die sie am Mittag begleitet hatten, dabei beobachtet. Sie sahen, wie die Jungen wieder mit dem Brunnen sprachen.
"Sagt einmal, die können doch nicht ganz klar in der Birne sein. Sie reden schon wieder mit dem Brunnen, oder könnt ihr jemanden erkennen?" Die beiden anderen schüttelten den Kopf. Nein, auch sie sahen niemanden an diesem Brunnen, mal abgesehen der zwei Kerle. Niemand sonst war dort vorhanden. Mit wem sprachen sie denn nur?
Von ihrem Standpunkt aus sahen sie, wie der ältere seine Hand in Richtung Brunnen streckte und sie langsam wieder zu sich zog. "Das hat jetzt ausgesehen, als wenn er jemandem seine Hand gereicht hatte. So als ob er jemandem geholfen hätte, von diesem Brunnen herunter zu kommen. Oder habe ich schon Halluzinationen?" Doch die anderen bestätigten dem Mädchen, daß sie schon richtig gesehen hatte. Denn ihre Freundinnen hatten es schließlich auch gesehen. Doch was sollte dies bedeuten? Von Minute zu Minute wurden sie neugieriger, sahen wie die Jungen zu einem fast total zerfallenen Haus liefen und darin verschwanden. Nun verstanden sie die Welt nicht mehr.
Durch die Neugier getrieben, verfolgten sie die beiden Jungen. Am Haus angekommen, schauten sie in jedes Fenster herein, konnten aber niemanden erkennen. So daß sie beschlossen, auch wenn ihnen das Haus nicht ganz geheuer vorkam, da es den Eindruck erweckte, jeden Moment einzustürzen, hinein zu gehen. Langsam öffneten sie die Tür und spähten in den dunklen Raum, der sich vor ihnen öffnete,. Zu sehen war allerdings nichts.
Eines der Mädchen zog ein Feuerzeug aus der Tasche und entzündete dieses. Spärliches Licht wurde in den Raum geworfen. Hier und da standen zerfallene Möbelstücke herum und der Fußbodenbelag löste sich an mehr Stellen, als das er noch haftete.
Langsam schlichen sie weiter. Sie befürchteten, der Boden unter ihren Füßen könnte jeden Moment nachgeben und sie ohne Vorwarnung in den Keller befördern. Doch sie hatten Glück. Der Fußboden hielt, was er nicht mehr versprach. Die untere Etage, die sie absuchten, war vollkommen menschenleer. Keine Seele hielt sich hier auf, und so tasteten sie sich in den oberen Stock.
Oben angekommen, zeigte sich die gleiche Finsternis, wie im unteren Bereich. Das Feuerzeug spendete weiterhin nur diffuses Licht.
Auf der linken Seite des oberen Stockes, sahen sie durch einen Türspalt einen leichten hellen Schimmer. So, als ob dahinter eine Kerze mit aller Macht versuchte den Raum zu erhellen. Die Mädchen schlichen darauf zu und versuchten durch den schmalen Spalt der Türe etwas zu erhaschen. Doch dazu war der Spalt zu gering. Ohne ein Geräusch zu erzeugen, standen alle drei vor der Tür und trauten ihren Ohren nicht. Sie hörten eindeutige Geräusche aus dem Inneren des Raumes. Schlimme Gedanken schossen den Mädchen durch den Kopf. Sie konnten nicht glauben, was sie da hörten. Diese beiden Jungen waren doch nicht etwa schwul? Nein, das konnte nicht sein. Und doch sprachen die Geräusche eindeutig dafür. Denn sie waren alleine hier hinein gegangen. Also konnten sie es auch nicht mit einem oder mehreren Mädchen hier treiben.
Mit aller Vorsicht, die sich hier aufbot, schoben sie die nur angelehnte Tür etwas auf. Das Feuerzeug, das bis dato ihren Weg wenigstens etwas ausleuchtete, hatten sie ausgemacht. Der Anblick, der sich ihnen in dem mit einer Kerze aufgeleuchtetem Raum zeigte, warf mehr Fragen auf als Antworten.
Die beiden Jungen lagen splitternackt auf einem alten Bett, dessen Matratzen zwar noch vorhanden, aber bestimmt nicht mehr bequem waren. Sie stöhnten und wanden sich auf dem Bett hin und her. Aber es wirkte eher so, als ob noch andere, nicht sichtbare Menschen vorhanden wären, die diese beiden verwöhnten. Als wenn eine Frau mit einem Mann dieses Spiel vollführte. Die beiden legten jedenfalls nicht Hand aneinander. So war man sich jedenfalls einigermaßen sicher, diese beiden waren nicht schwul.
Doch was spielte sich hier wirklich ab? Hatten diese beiden eine so große Phantasie, sich vorzustellen, sie trieben es mit einer Frau, um die ganze Gestik und Mimik aufführen zu können? Ihre Arme schlangen sich nach oben, gerade so, als umarmten sie eine Frau. Sogar der Abstand stimmte.
Die drei Mädchen brachten keinen Ton über ihre Lippen. Staunend, mit weit aufgerissenem Mund starrten sie der Szenerie ins Angesicht, als mit einem Male, die Bewegungen der beiden Jungs wie abrupt innehielten. Sie hielten die Augen geschlossen und rührten sich nicht mehr. Als ob sie der Schlag getroffen hätte. Die Atmung, die man trotz des diffusen Lichtes sah, war flach aber regelmäßig.
Die drei Mädchen starrten sich gegenseitig an. Sie wußten nicht, wie sie in dieser Situation reagieren sollten. Sollten sie zu den beiden gehen, und ihnen zeigen, daß sie auf frischer Tat ertappt worden sind, oder leise und ohne eine Bemerkung von hier verschwinden? Sie wußten sich im Moment nicht zu helfen. Langsam wendeten sie wieder den Kopf zu den beiden hin, als ihnen das Blut in den Adern anfing zu gefrieren.
Das was sie jetzt sahen, brachte ein Mädchen dazu, sich umzudrehen und ihren Mageninhalt ohne weitere Vorankündigung auf den Flur des oberen Stockes zu entleeren. Die Mädchen beobachteten, wie sich bei dem älteren der Brustkorb öffnete. Es war deutlich zu sehen, wie die Haut aufgerissen wurde, das Blut in strömen aus der klaffenden Wunde schoß. Kein zucken, keine Reaktion des Körpers war zu bemerken. Es war, als ob er von alledem nichts mitbekam. Dann brachen auf bestialische Weise die Knochen, Splitter flogen quer durch den Raum, als sich gleich darauf der Körper wild aufbäumte und das Herz über seinem Körper schwebte. Noch einmal ging ein Ruck durch den Jungen, bevor er schlussendlich leblos liegen blieb. Die zwei anderen Mädchen, deren Magen nicht so empfindlich war, sahen dem Schauspiel noch weiter zu, nicht ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, damit der Schrei, der ihnen im Hals stecken blieb, nach außen drang und ihre Anwesendheit verraten würde.
Das Geschlechtsteil des einen erhob sich, nun konnte auch das zweite Mädchen nicht mehr. Sie drehte sich um und lief schreiend aus dem Haus. Die noch als einzige verbliebene schaute weiter entsetzt, aber interessiert zu. Als sie auf einmal sah, wie das Geschlechtsteil sich vom Körper des Jungen trennte. Es wurde auf das Bett neben ihn, wie zuvor auch die Herzen der Jungen, gelegt. Beim zweiten geschah das gleiche. Das Mädchen war nicht sicher, ob sie träumte oder ob dies alles pure Realität war. Sie glaubte eher an einen Traum, den sie im Moment träumen würde. Sicher würde sie gleich in ihrem Bett erwachen und bemerken, dies war tatsächlich ein Traum. Doch von alledem passierte nichts. Sie stand in der Tür und schaute bei etwas zu, das jemanden zu erklären wohl kaum möglich wäre. Doch sie hatte die Pflicht und auch die Schuldigkeit, dies zu tun. Sie wollte, und konnte im Moment nicht ihre Augen von dem Geschehenen abwenden. Sie mußte wissen, was noch alles passieren würde. Doch es geschah nichts mehr. Die Herzen und Geschlechtsteile, die eben noch neben den beiden Jungen lagen, waren mit einemmal verschwunden. Wie in nichts aufgelöst. Und alles blieb still. Langsam erlosch die Kerze im Raum und alles blieb so, wie sie es gerade noch im schwachen Schein der Kerze gesehen hatte.
Wie in Trance drehte sie sich langsam um und bemerkte erst jetzt, sie war allein hier oben. Die anderen schienen bereits nach unten gegangen zu sein. Als wenn ihre Beine mit Blei gefüllt waren, schlich sie langsam nach unten. Die Gedanken schweiften immer noch um das Erlebte. Sollte sie wirklich das glauben, was ihre Augen da gesehen hatten?
Sie kam unten an, verließ genauso langsam, wie sie die Treppen heruntergestiegen war, das Haus. Vor der Tür standen die anderen beiden Mädchen und starrten sie mit riesengroßen Augen an. In ihren Augen stand die Frage mehr als deutlich zu sehen, stimmt denn alles, was wir da gesehen haben.
"Habt ihr auch das gesehen, was ich gesehen habe, oder wachen wir gleich aus diesem Traum auf?" Langsam stammelte sie diese Worte zu ihren Freundinnen.
"Wir müssen sofort zur Polizei." Die eine, die ihren Mageninhalt als Beweis im oberen Stock hatte liegen lassen, zupfte an den Ärmeln der anderen.
"Und was sollen wir der Polizei sagen? Entschuldigung, aber in einem alten Haus liegen zwei Jungen, deren Herzen sich selbständig aus dem Körper entfernt haben und deren Genitalen sich auch von ihnen verabschiedet haben. Ich glaube, du bist nicht ganz bei Trost. Diese Geschichte glaubt uns doch kein Mensch. Geschweige denn, ich glaube es."
Ratlos standen sie sich gegenüber. Und doch beschlossen sie zur Polizei zu gehen. Diese glaubte ihren Ohren nicht zu trauen , was diese Mädchen ihnen da erzählten. "Habt ihr etwa Alkohol getrunken oder Rauschgift genommen?" Zweifel stieg in den Beamten auf. Doch was blieb ihnen anders übrig, als den Worten der Mädchen zunächst einmal Glauben zu schenken und sich das Haus aus der Nähe zu betrachten. Und letztendlich gab es doch schlüssige Beweise, wie Fotos und Akten aus den vergangenen Jahren bewiesen.
Sie untersuchten das Haus vom Keller bis zum Dachstuhl, konnten aber keinen Hinweis darauf finden, daß die Story der Mädchen stimmen würde. Als die Untersuchungen am angeblichen Tatort abgeschlossen waren, mußten die Mädchen ihre Personalien abgeben und wurden, nicht ohne eine Mahnung fortgeschickt, die Polizei doch nicht so hinter das Licht zu führen. Tags darauf fuhren die Mädchen wieder mit dem Bus, der sie in diesen Ort gebracht hatte, nach Hause. Daß die Jungen auf dieser Rückfahrt nicht mehr dabei waren, registrierten sie nicht. Dazu waren die Ereignisse der vergangenen Nacht zu stark gewesen. Sie wollten nur noch nach Hause und alles vergessen. Was leichter gesagt als getan war.
Fünf Tage später holte sie alle drei wieder die Vergangenheit ein. Bei jedem dieser Mädchen klingelte es zur gleichen Zeit. Und alle drei, die ihre Türe öffneten, zeigte sich das gleiche Bild. Ein Beamter der Polizei meldete sich mit seinem Namen bei ihnen und forderte sie auf, die zwei Jungen auf einem Foto zu identifizieren. Alle drei konnten nicht anders, als diejenigen zu erkennen, die sie in dieser Nacht auf so unerklärliche Weise ums Leben haben kommen sehen.
Und wieder mußten sie ihre Geschichte zum besten geben, die sie schon in der Nacht der Polizei mitgeteilt hatten. Dadurch, daß sich die Aussage mit der Tatnacht deckte, schenkten die Beamten ihnen Glauben. Nur ein Aspekt stimmte nicht. Diese beiden Jungen wurden ungefähr einhundertundzwanzig Kilometer weiter weg gefunden. Daß der Tatort dort nicht gewesen sein konnte, hatte die Polizei allerdings auch schon festgestellt. Doch wo der Tatort letztendlich war, konnten selbst sie nicht sagen. Für sie stand nur fest, dort wo die Jungen gefunden wurden und wo die Mädchen behaupteten, war beides Male nicht der Tatort. So daß sich diese Frage nicht beantworten ließ. Zunächst einmal nicht. Auch auf die drängende Frage der Polizisten, wer der Täter war, antworteten die drei Mädchen übereinstimmend, es gäbe keinen. Daß ihnen dies natürlich keiner glaubte, war mehr als nur verständlich.
Und wiederum wurden zwei Morde nicht aufgeklärt. Keiner konnte sich einen Reim auf die Geschehnisse machen und ein Mordmotiv konnte zu allem Übel ebenfalls nicht gefunden werden. Sollten alle diese Morde nie aufgedeckt werden? Sollte nie ein Mensch hinter das Geheimnis des Ganzen kommen? Keiner konnte auch nur im entferntesten eine Antwort darauf geben. Und wieder waren drei Jahre ins Land gegangen, ohne daß diese Morde aufgedeckt wurden. Doch immer wenn drei Jahre um waren, wurden die Einwohner des kleinen Ortes unruhig. Sie wußten, die Zeit war wieder reif für einen neuen Mord. Kannten sie deren Geheimnis? Keiner vermochte dies zu sagen. Die Polizei spekulierte schon lange damit, viele in diesem Ort mußten etwas darüber wissen. Nur sie schwiegen. Doch warum?
Besucher strömten immer in größerer Zahl in diesen Ort. Einerseits waren die Einwohner froh darüber und zum anderen machten sie sich Sorgen darüber. Je mehr Fremde um so größer die Gefahr, man könnte einen der Einwohner für den Mörder halten. Jeder von ihnen im Ort wußte, von ihnen war es keiner. Doch etwas von der Sache wußten alle, nur sie schwiegen.
Sie mußten schweigen. Sie mußten ihr Wissen für sich behalten, um zu überleben. Alle im Dorf hatten einen Pakt mit diesem Wesen abgeschlossen, niemals irgend jemanden die Wahrheit zu berichten, oder auch nur ein Wort darüber zu verlieren, ansonsten würde dieses Wesen, wer oder was immer es auch war, diesen Ort dem Erdboden gleich machen. Wie dies dann geschehen würde, war keinem der Bewohner klar und sie hatten auch kein Interesse daran es zu wissen oder zu erfahren. Allein die Angst versiegelte ihre Münder.
Wieder verirrte sich ein junger Mann zu dem Brunnen. Auch er sah dieses schöne Mädchen und verfiel ihr. Und wie immer lief die gleiche Prozedur ab. Er wurde in das verfallene Haus eingeladen, schlief ein und wurde wie alle vor ihm ermordet, das Herz herausgeschnitten und die Geschlechtsteile entfernt. Danach wurde sein Leichnam irgendwohin gebracht, wo ihn dann ein paar Tage später wieder ein Mensch zufällig finden würde.
Aber das Mädchen, das diese Tat vollführte, war froh weiterleben zu dürfen. Ihre Seele brauchte alle drei Jahre einen neuen Körper. Denn länger hielt sie es im selben Körper nicht aus. Diese waren einem schnellen Verfall zugetan, und sie mußte sich dann stets beeilen, einen neuen Körper zu bekommen, wollte sie nicht für immer in Verdammnis leben.
Auch heute hatte sie wieder, wie in all den Jahren zuvor, das Glück eine männliche Jungfrau zu finden. Sie nahm dessen Herz und Penis mitsamt den Hoden und ging in einen Raum, der unter dem Brunnen war. Dort war ihr eigentliches Zuhause, wenn man davon überhaupt sprechen kann.
Ihr Körper war schon arg geschwächt, als sie diesen Jüngling erwischte. Und sie wußte, ihr blieb nicht mehr viel Zeit, um einen neuen Körper zu erschaffen. Dazu benötigte sie das Herz und die Geschlechtsteile, ihr eigenes Blut und die richtige Nacht. Dazu die richtigen Worte, um Satan anzusprechen, und sie konnte wieder für die nächsten drei Jahre leben. Doch diesmal war der Zeitpunkt schon recht weit vorangeschritten. Und bis zum nächsten Vollmond dauerte es noch volle zwei Wochen. Würde der Körper, in dem sie momentan lebte noch so lange halten? Würde er vorher schon zusammenbrechen? Sie wußte es nicht mit Sicherheit zu sagen. Sie hoffte nur, er würde durchhalten. Sonst müßte sie solange warten, bis ein Mensch zufällig wieder diesen Raum unter dem Brunnen finden würde, um dann durch die Macht Satans, dazu verleitet, einen neuen Körper für sie zu erschaffen.
Sorgfältig legte sie das Herz und auch die Geschlechtsteile in ein extra dafür vorbereitetes Gefäß, in dem eine klare Flüssigkeit war. Diese Flüssigkeit sorgte dafür, daß die Teile frisch über einen langen Zeitraum erhalten blieben. Nun hieß es für sie auf den nächsten Vollmond zu warten. Diese Zeit nutzte sie, um ihren Körper in eine Art Trance zu versetzen, damit er nicht noch weiter geschwächt würde. Sie konnte und wollte es nicht zulassen, wer weiß wie viele Jahre sie warten müßte, bis ein Außenstehender, durch einen Zufall für sie wieder einen Körper erschaffen würde.
Doch auch diesmal hatte sie wieder Glück. Pünktlich zum Vollmond hatte sie gerade noch die Kraft ihren Körper zu erwecken. Nahm das Herz, legte es in eine Silberschale und dazu die Geschlechtsteile. Packte ein Messer, hob es gen Himmel und sprach laut die Wort: "Satan, Herrscher der Nacht, Beschützer der Untoten. Zeige deine ganze Macht und laß sie in mir übergehen. Etvelni, Sustra, Vildama." Und damit schnitt sie sich mit dem Messer die Pulsadern der Handgelenke auf, hielt sie über die Schale und ließ ihr gesamtes Blut in die Schale tropfen.
Dicker grauer Qualm stieg aus der Schale empor. Der Raum wirkte gespenstisch. Das Licht, dessen Quelle nicht zu erkennen war, färbte sich immer wieder neu ein. Von Gelb auf Blau, dann Grün und wieder Rot. Die Farben schienen ineinander überzugehen, bis sie sich so stark vermischt hatten, daß es wie die finstere Nacht und doch hell wirkte.
Der alte Körper löste sich auf. Langsam formte sich aus der in der Schale liegenden menschlichen Teile ein neuer Körper. Frisch und jung. Ihre Seele, die sich bis zu diesem Zeitpunkt frei schwebend im Raum aufgehalten hatte, strömte in den neuen Körper hinein. Nun hatte sie wieder drei Jahre Zeit, sich einen neuen Körper zu suchen.

ENDE

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Gezeichnet Rufus Kent, den 12.04.2001



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